Wir Boomer wissen es aus Zeiten, als wir jung waren. 1982 sangen wir mit Fehlfarben: „Keine Atempause, Geschichte wird gemacht, das geht voran!“ Das war Verheißung, Zumutung und Auftrag gleichermaßen. Wir machen Geschichte! Es liegt in unserer Hand, was wir aus und in der Welt machen. Die heute noch Jungen und bald schon Alten mahnen nicht zu Unrecht an, dass wir Boomer ein ambivalentes Erbe hinterlassen haben. Die Boomer-Generation hat es immerhin geschafft, die Digitalität so weit zu entwickeln, dass die Jungen sich via Smartphone zu Fridays-for-Future-Demonstrationen verabreden können. Bei denen protestiert man zu Recht, dass wir Älteren es geschafft haben, dermaßen auf Kosten des Planeten zu leben, dass das Klima nicht mehr wird, wie es einmal war. Glaubt man den Parolen der Freitagsdemonstranten, dann hat die Generation „Boomer“, die in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts das Motto „No future“ ausgab der heutigen Jugend jene Zukunft geklaut. Der Boomer, der trotzdem eine Zukunft hatte, ahnt, dass die bald Alten ihre erst noch gestaltet müssen. Welche Geschichte wird man sich von den heute Jungen in 40 Jahren erzählen? Was glauben Sie denn?
Kurz nach dem Überfall der Ukraine durch russische Truppen rief Bundeskanzler Olaf Scholz am 27. Februar 2022 in einer Regierungserklärung die Zeitenwende aus. Wahrscheinlich haben sich die Zeiten schon viel früher gewendet. Die Flüchtlingsbewegungen von 2015, die Corona-Pandemie, die schleichend unaufhaltsame Erderwärmung – all das hat die Welt verändert. Träumten manche am Beginn der Corona-Pandemie noch von einem Rückkehr zur Normalität, wird immer deutlicher, dass das neue „Normal“ mit dem alten „Normal“ nur wenig zu tun hat. Alleine die Notwendigkeit Energie zu sparen ist nicht mehr nur ein umweltpolitisches Ideal, sondern bekommt seine Aktualität durch die drastisch gestiegenen Energiepreise. Mit der Regierungserklärung des Bundeskanzlers wurde aus einer gefühlten Veränderung amtliche Gewissheit: Die Zeiten ändern sich. Aber wir sind den Zeitläuften nicht hilflos ausgeliefert. Es mag zwar so sein, dass wir die Natur brauchen, die Natur uns aber nicht; Kultur und das Geschichtemachen liegen hingegen in Menschenhand. Geschichte aber ist das, was man über die heutigen Zeiten zukünftig erzählen wird.
Christinnen und Christen bitten im Vaterunser darum, dass uns heute das tägliche Brot gegeben werde. Das hört sich demütiger an, als es ist. Auch die frömmsten Beter werden nach inbrünstigem Bitten kein Brot vor der Tür finden. Ganz im Gegenteil. In einem Gebet der römisch-katholischen Liturgie heißt es in Anlehnung an den jüdischen Brotsegen, eine Beracha, heißt es:
„Du schenkst das Brot, die Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit.“
Brot ist ein Produkt aus göttlicher Gabe und (!) menschlicher Arbeit. Gott gibt das Getreide, das der Mensch ernten, mahlen und ausbacken muss. Das ist die Zumutung, die der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der auch der Vater Jesu Christi ist, den Menschen aufträgt: an seiner Schöpfung mitzuarbeiten und damit an der Geschichte mitzuschreiben. Diese Zumutung ist eine Ermächtigung, die Dinge der Welt mit Gottes Hilfe in die eigene Hand zu nehmen. So ist der Mensch sicher Ursache vieler Krisen; aber es gilt die Verheißung, dass er sie mit Gottes Hilfe bewältigen kann. Wer in diesem Sinne betet, muss anpacken. Wo er in die Irre läuft, muss er umkehren. Ohne Atempause, machen wir so Tag für Tag Geschichte, damit es vorangeht. Die Verheißung gilt, dass wir das schaffen; und zu glauben vermag, kann darauf vertrauen, dass diese Hilfe im Namen dessen ist, der Himmel und Erde erschaffen hat (vgl. Ps 124,8). Es gibt eine Zukunft. Mögen die Enkel gute Geschichten über uns erzählen. Es liegt an uns – hier und jetzt. Lasst uns Geschichte machen!
Dr. Werner Kleine
Erstveröffentlicht in der Westdeutschen Zeitung vom 30. September 2022.
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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